MENSCHEN MIT ÜBERGEWICHTManager der eigenen Unfähigkeit
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Wo die Gesellschaft glaubt, man könne auch anders, ist Schluss mit der Toleranz. Das bekommen zum Beispiel übergewichtige Menschen zu spüren.
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Wenn unsere Gesellschaft in ihrer Selbstbeschreibung als eine Leistungsgesellschaft wahrgenommen wird, dann ist sie mit Sicherheit auch eine Fähigkeitsgesellschaft. Fähigkeiten gilt es zu erlernen und zu verbessern. Möglichst lebenslang sind neue Fähigkeiten zu erwerben, insbesondere natürlich die Fähigkeit, den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Eigentlich ist niemand mehr zu irgendetwas wirklich unfähig – er hat sich bei Misserfolgen einfach nicht genug bemüht, hat zu wenig an sich geglaubt oder zu früh aufgegeben. Man muss nicht alles schaffen, aber man darf nie daran zweifeln, dass man nicht grundsätzlich dazu fähig gewesen wäre.
Interessant wird es aber, wenn das Dogma der Fähigkeit an körperliche Grenzen stößt. Dass manche Körper bestimmte Dinge einfach nicht können, dass also ein Mensch mit Behinderung in seinen Möglichkeiten eingeschränkt bleiben wird oder dass Übergewichtige dick bleiben werden, Raucher weiterhin rauchen oder Suchtkranke süchtig bleiben trotz aller Therapieversuche: Das passt nicht in die gesellschaftliche Erwartung. Wie groß ist die gesellschaftliche Toleranz gegenüber dem dysfunktionalen Körper?
Keine Akzeptanz für Dicke
Nehmen wir die Dicken: Der Diversitätsdiskurs hat die Übergewichtigen bisher erstaunlicherweise eher ausgeschlossen. Erstaunlich ist es, weil es – etwa im Unterschied zu Transsexuellen – immer mehr Adipöse gibt. Mittlerweile gilt in Deutschland mehr als die Hälfte der Erwachsenen als übergewichtig. Dieses Erstaunen hat die Soziologin Denise Baumann zum Anlass genommen, sich in einer Studie mit Teilnehmern von Weight-Watchers-Treffen zu beschäftigen. Unsere so diversitätsbemühte Gesellschaft scheine ausgerechnet bei den Dicken eine Ausnahme zu machen, so Baumann.
Dicke könnten nicht darauf hoffen, in ihrem Anderssein soziale Anerkennung zu finden. Dicke gelten als unfähig, abzunehmen und dem sozialen Ideal des gesunden, schlanken Körpers zu entsprechen. Dicksein sei nicht Schicksal, sondern Ausdruck eines Mangels an Veränderungswillen, eine dickfellige Verweigerung, der sozial geforderten Transformationserwartung zu entsprechen. Der Dicke hat ein Problem, das auch noch gnadenlos sichtbar ist. Anpassung durch Verheimlichung des persönlichen Mankos ist hier also ausgeschlossen. Warum aber trifft das gesellschaftliche Verdikt des selbstverschuldeten Unglücks gerade die Dicken?
Unsere Gesellschaft verhalte sich bei der Adiposität immer noch wie eine Klassengesellschaft, so Baumann. Sie werte die empirischen Körper auf oder ab, je nachdem, ob sie der Norm entsprächen oder nicht. Die Intoleranz unserer eigentlich toleranzversessenen Gesellschaft gegenüber dem Dicken verdanke sich der festetablierten Überzeugung, dass Gesundheit und Dicksein unvereinbar seien. In einer Gesellschaft, die einen gesunden Lebensstil erwartet und diesen als eine Frage von Eigenleistung und Selbstdisziplin versteht, ist das eine fatale Kombination.
Man lernt zu erklären, weshalb man nicht abgenommen hat
Aber es gibt doch Weight Watchers, das weltweit operierende Abnehmunternehmen. Lernt man hier das Schlanksein? Baumann hat in einer teilnehmenden Beobachtung bei solchen Treffen festgestellt, dass das Bekenntnis der Unfähigkeit zur Gewichtsreduzierung bei den Weight Watchers so etwas wie die Beichte in der Kirche ist: Man muss zunächst bekennen, bevor einem geholfen werden kann. Natürlich geht es den Mitgliedern dieser Selbsthilfegruppen ums Abnehmen, die Abnehmwilligkeit fungiere schließlich als „Zugehörigkeitskonstitution“ für die Teilnehmer. Aber was lernt man bei den Weight Watchers wirklich? Oder was lernt die Gesellschaft von ihnen?
Natürlich gibt es dort auch die Erfolgsstorys vom raschen Dahinschmelzen der Pfunde, dokumentiert mit einschlägigen Vorher-nachher-Bildern glücklicher Schlankheitskurabsolventen. Aber zentral sei hier eigentlich, so Baumann, die „Darstellung und das Management von Unfähigkeit“. Diese Eintrittsgeste sei der große Gleichheitsstifter. Die „Selbstattestierung“ der Abnahme-Unfähigkeit sei bei den Treffen der Weight Watchers kein Tabu, sondern fester Bestandteil. Man lerne, sich selbst als unfähig darzustellen, und werde so zum „Manager“ der eigenen körperlichen Unzulänglichkeit. Kurz: Der Weg scheint hier mehr als das Ziel zu sein, vor allem weil das Ziel der dauerhaften Schlankheit ohnehin außerhalb der eigenen Reichweite zu liegen scheint. Man lerne in den Treffen zu erklären, warum man gerade mal wieder nicht abgenommen hat. Oder wieder zugenommen hat. Um dann wieder abzunehmen. Und so weiter?
Solange man die „diskursive Darstellung der generellen Abnehmwilligkeit“ nicht vernachlässigt, kann man anscheinend bei den Weight Watchers ein glaubhaftes Mitglied sein – und lange bleiben. Man bekommt bei Baumanns Studie den Eindruck, dass die Fortsetzung der Mitgliedschaft für die Teilnehmer wichtiger ist als der tatsächliche Erfolg. Akzeptiert wird hier sogar, wenn man mal gewissermaßen vom Abnehmen Urlaub nimmt, ohne dass die grundsätzliche Abnehmwilligkeit von den anderen Teilnehmern in Frage gestellt wird.
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